Kolonie-Geschichte

Seit 1914

Gründung im März 1914

Gegründet vom Roten Kreuz

Im März 1914 wurde unsere Anlage durch das Rote Kreuz gegründet und das Land von der Stadt Berlin gepachtet. Ein alter Zeitungsausschnitt berichtet davon, dass unsere Anlage in 98 Parzellen verschiedener Größen eingeteilt war, fünf öffentliche Brunnen besaß – wobei jeder Kolonist auch noch seinen eigenen hatte – und auf einen Spielplatz stolz war, dem „leider die Turngeräte” fehlten.
Immerhin gab es einen Pavillon, „in dem im Sommer die Versammlungen und der Handfertigkeitsunterricht für die Kinder abgehalten“ wurden. Auch veranstaltete die Kolonie in jedem Jahr mehrere Unterhaltungsabende.

Erste Gartenbegehung

Aus der gleichen Quelle erfahren wir: „Die Lauben waren zum Teil aus gutem Material, aber auch aus Kistenbrettern hergestellt.”
Auch eine Gartenbegehung hatte damals wohl schon stattgefunden, denn gezählt wurden: „28 Stück Steinobst, 590 Stachel- und Johannisbeer und 195 Ziersträucher”. Hauptsächlich wurde aber Gemüse angebaut: „Sämereien, Dünger und was auf dem Feld gebraucht wird, wird gemeinsam bezogen. An der Brandschutzunterstützungskasse ist ungefähr die Hälfte der Kolonisten beteiligt.”
Gründung der Kolonie, Vereinsfahne
Leben in der Laubenkolonie um 1920

Früh emanzipiert: Frau Polizeipräsident wird Vorsitzende

Der Zeitungsausschnitt gibt als Vorsitzende eine Frau Polizeipräsident Becherer aus Neukölln an, Obmann war Rechtsanwalt Lorenz, ebenfalls Neukölln. Andere Quellen belegen: „Frau Polizeipräsident” war gewissermaßen die heute noch bekannte “Zahnarztfrau” – also die Frau von einem gewissen Adolf Becherer, der 1908 zum Polizeipräsidenten von Rixdorf, dem späteren Neukölln, ernannt wurde. „Sein dienstliches wie privates Domizil ist seitdem das Polizeipräsidium an der Kaiser-Friedrich-Straße (heute Sonnenallee). Becherers Karriere als politischer Beamter endet in den Revolutionswirren von 1918/19 – er wird vom Neuköllner Arbeiter- und Soldatenrat kurzerhand abgesetzt.”

Der flotte Helmut – ein Waisenkind unserer Kolonie?

Insofern wissen wir nun, dass der Zeitungsausschnitt schon aus der Frühzeit unserer Kolonie datiert. Weiter erfahren wir, dass Becherer seine Frau Hildegard 1901 in Schleswig ehelichte, diese Ehe kinderlos blieb und die Eheleute 1918 den zweijährigen Helmut adoptierten. Über Helmut heißt es weiter, er sei „manchen älteren Wilhelmshorsterinnen noch als flotter Mann und Tennisspieler in guter Erinnerung” (die Becherers müssen später nach Wilhelmshorst gezogen sein). Auch dieser “flotte Mann und Tennisspieler” wird einige seiner schönsten Kindertage in unserer Kolonie verbracht haben! In anderen Quellen wird der Obmann Fritz Zorn erwähnt, der dem Jugendpflegeausschuss angehört haben soll.
Während des Ersten Weltkrieges spielte die Bekämpfung der Armut eine bedeutende Rolle.
Bei immer knapper werdenden Lebensmitteln wurden die Gärten für viele Menschen überlebenswichtig. Durch Wohnungsknappheit wurden viele Gartenlauben zur Dauerlösung, um überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben.
Auch wurde Kriegsversehrten und Waisenkindern geholfen.
Womöglich war also nicht nur die kinderlose Ehe der Becherers ein Grund für die Adoption des flotten Helmuts, sondern auch die Anwesenheit von Waisenkindern in unserer Kolonie.
Vielleicht war dieser Helmut sogar eines der Waisenkinder unserer Kolonie.
Waisenkinder als Gäste

Zweiter Weltkrieg und  Nachkriegszeit

Stadtgeschichtlich passierte in der Zwischenkriegszeit Entscheidendes: Bis ins späte 19. Jahrhundert galt Treptow noch als Landgemeinde, und bis 1920 war Berlin eine relativ kleine Hauptstadt. Neukölln, Steglitz und Charlottenburg waren Berliner Vororte, gehörten aber noch als große selbstständige Städte zu Preußen. Erst mit der Eingemeindung wurde Berlin zu Groß-Berlin – und damit auch unsere Kolonie Berlin zugehörig.

Schwieriger noch als im Ersten Weltkrieg gestalteten sich die Verhältnisse im 2. Weltkrieg, wo durch die zunehmende Unterversorgung besonders der Stadtbevölkerung Berlins, die Vernichtung ganzer Stadtteile durch Bomben sowie Tausende Flüchtlinge, Situationen schlimmster Not entstanden. Jeder Quadratzentimeter Land wurde mit Essbarem bebaut, jedes Brett zum Bau von Unterkünften genutzt.

Wiederaufbau nach 1945

Schlimmste Not im Zweiten Weltkrieg

Nach 1945 musste auch unsere Anlage teilweise neu aufgebaut werden. Den ersten Pachtvertrag nach dem Krieg bekam Familie Draheim. Die Erinnerung an diese Zeit ist bestimmt von den vielen Hühner- und Kaninchenställen und dem Anbau von Kartoffeln und Gemüse, welches ziemlich regelmäßig am frühen Morgen als gestohlen verbucht werden musste.
E. Kurbatsch

Erster Vorsitzender: Erich Kurbatsch

Unter anderen hat Gartenfreund Erich Kurbatsch (li.), Vorsitzender unserer Anlage seit 1936, großen Anteil daran, dass wieder gemeinsame Aktivitäten auflebten.
Es entstand die regelmäßige sonntägliche Kaffeetafel, Kriegsversehrte wurden betreut, Obdachlosen und allein gebliebenen Kindern wurde geholfen und Sommerfeste wurden organisiert.
Dabei wurde für die Kinder meistens Onkel Pelle eingeladen, ein Musikclown, der mit allem, was Krach und Musik machte, behängt war und mit den Kindern durch die Anlage zog.
Nach diesem lustigen Marsch gingen die kleinen Gärtner zurück in ihre Parzellen und das Fest der großen Kleingärtner begann …

Vom Mauerbau bis zur Wiedervereinigung

Wenn Familien und Freunde durch ein weltpolitisches Großereignis schicksalshaft auseinander gerissen werden, so hat dies selbstverständlich Auswirkungen auf eine Berliner Kleingarten-Anlage wie Vogelsang I, die im Grenzgebiet nahe der entstehenden Mauer liegt. Kleingärtner aus dem Westteil durften nun nicht mehr in ihre Gärten. Diese Gärten verwaisten. Als Lösung für dieses Problem wurden später so genannte Pflegeverträge vergeben, die Ost-Berliner berechtigten, sich für diese Gärten zu bewerben und sie zu nutzen. Ab 1977/78 konnten diese Gärten endgültig gepachtet werden, wenn der Westberliner Vorpächter kein Interesse mehr hatte oder verstorben war.

1965: Strom für ein Dutzend findige Laubenpieper

Als in den Jahren 1961 bis 1965 das Wohngebiet Dammweg/Eichbuschallee/S-Bahn/Kiefholzstraße errichtet wurde, installierte der VEB Volksbau eine Baustromversorgung mit Übergabepunkt an der Ecke Dammweg/Kiefholzstraße. Die Leitung blieb nach Ende der Bauarbeiten stehen. Ein Streit entbrannte, wem die Anlage gehöre: Energiekombinat oder Volksbau.
 
Wenn zwei sich streiten…
Einige Aktive der Kolonien Vogelsang I und II sahen ihre Chance, die Parzellen über diesen Übergabepunkt anzuschließen – und dies war für 12 Parzellen der Start in die Stromversorgung. Bis 1979 wurden alle weiteren Anträge aus Kapazitätsgründen abgelehnt.
Große Beeinträchtigungen entstanden durch die Einführung von Passierscheinen für alle Pächter, da unsere Kleingartenanlage Grenzgebiet war. Für alle Pächter begann die Prozedur, jährlich Passierscheine beantragen zu müssen. Auch für Besucher und Handwerker waren Passierscheine Bedingung. Bürokratische Formalitäten und Wartezeiten waren an der Tagesordnung. Pächter, die ohne Passierschein angetroffen wurden, konnten verhaftet und verhört werden. Meistens mussten sie durch einen Familienangehörigen ausgelöst werden. Auch die anderen Regelungen zur Grenzordnung, z.B. das Anschließen aller größeren beweglichen Gegenstände wie Leitern, Tische, Stühle usw., erschwerten das kleingärtnerische Leben.

1977: Kolonie im Grenzgebiet – Passierschein-pflicht

Festnahmen wegen Passierschein-Vergehens
Viele unserer Gartenfreunde können sich noch sehr gut an diese Zeit erinnern. So wurden z.B. Gartenfreund M. festgenommen, weil er seinen Passierschein nicht verlängert, Gartenfreundin R., weil sie ihren Passierschein vergessen hatte. Beide mussten durch die Ehepartner ausgelöst werden.
Passierschein

1979: Strom für alle

Im Juni 1979 wurde die Lichtgemeinschaft Vogelsang I und II gegründet und ein Antrag an das Energiekombinat zum Bezug von 200 KWh gestellt. Gemeinsam mit Vogelsang II wurden Leitungspläne, Verteilerorte usw. erarbeitet. Im Frühjahr 1980 wurden die ersten Parzellen angeschlossen. In der ersten Ausbaustufe bis 1981 wurden 38 Parzellen versorgt, weitere 24 kamen bis 1982 dazu. Bei Pächterwechsel wurde jedem neuen Mitglied ein Stromanschluss ermöglicht. Heute haben 110 von 112 Parzellen Strom.

Produktions- verpflichtungen für Obst und Gemüse

 Bis zur Wiedervereinigung wurden strenge Auflagen zur „Produktion“ von Obst und Gemüse, aber auch Zierpflanzen gestellt. Die jährlichen Erträge wurden exakt erfasst und abgerechnet. Unsere Ausstellung im Vereinsheim zeigt dazu einige der Abrechnungen!
 
 
 
Dem Kreisverband Treptow des VKSK – also dem Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter – gehörten 1964 9.381 Mitglieder an. Er verwaltete 97 Kleingartenanlagen mit 6.974 Kleingartenparzellen auf 245 Hektar.
Die Spartenheime der Anlagen wurden für Bildungs- und Freizeitveranstaltungen in Anspruch genommen. Der Wettbewerb um die höchsten Erträge stand im Mittelpunkt der Verbandstätigkeit bis zur Wende 1989. So wurden von jedem Parzellenbesitzer Obst- und Gemüseerträge von mehr als 100 Kilogramm pro 100 Quadratmeter Gartenfläche gefordert. Eier, Kaninchenfelle, Schafwolle und Fleisch wurden in dem Zusammenhang von den einzelnen Fachsparten (daher auch „Spartenheime“) registriert.
Die Höhe der Tierprodukt- und Anbau-Ergebnisse aller Sparten einer Anlage bildeten dann zusammen eine wesentliche Voraussetzung für die Auszeichnung mit dem Titel: „Staatlich anerkanntes Naherholungsgebiet“.

Wiedervereinigung bis heute

Bundeskleingartengesetz

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 änderten sich die Bedingungen für die kleingärtnerische Arbeit entscheidend.
Alle hatten sich von nun an nach dem Bundeskleingartengesetz zu richten.
Zwar waren Zwangsauflagen weggefallen, doch bei der Nutzung der Parzellen musste das Verhältnis von Rasenfläche, Blumen, Obst und Gemüseanbau eingehalten werden.
Dabei gab es nun Übertreibungen einzelner Verbandsfunktionäre bei der Auslegung der gesetzlichen Grundlagen und Nachlässigkeiten einzelner Mitglieder – gegen beides musste sich der Vorstand wehren.
„Aufstand im Reich der Gartenzwerge”, schrieb 1996 einmal die BZ über unsere Kleingärtner. Der Bezirksverband nahm es zuvor ganz genau: „Der Bezirksverband der Kleingärtner rückt zur Rasen-Razzia an”. Der Vorsitzende des Bezirksverbandes ließ verlauten: „Kleingärten sind keine Erholungsgärten. Da muss gearbeitet werden(!). Niemand darf die Hände in den Schoß legen!”
 
Siegfried Lamprecht, unser damaliger Vorsitzender, konterte: „Unsinn! Natürlich sind Kleingärten zur Erholung da. Wofür sonst? Außerdem sind unsere Gärten fast alle in Ordnung. Die Kontrolleure hatten wohl Langeweile!”
 
Das Bundeskleingartengesetz oder auch die Gartenbegehung mag auch heute noch auf manchen Gartenfreund bevormundend wirken. Hinzu kommen die in der Öffentlichkeit weit verbreiteten Ansichten über die angebliche Spießigkeit der Laubenpieper.
Nachbars-Streitereien über den Zaun hinweg oder Diskussionen über die erlaubte Höhe von Begrenzungshecken sind Legende.
Auf der anderen Seite bietet der Kleingarten eine Fülle an Möglichkeiten, ein kleines Paradies zu schaffen und sich darüber hinaus als Naturschützer, Blumen- oder Tomatenzüchter oder Grill-Gourmet zu beweisen. Und nicht zuletzt: Auch zu feiern gibt es immer wieder einen Anlass.
 

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